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daniel holtwiesche | PORTFOLIO

tippinG|Point

Eine Interpretation


Das Triptychon „tippinG|Point“ hat eine spannende Komposition, die viele Ebenen der Interpretation ermöglicht. 

tippinG|Point zeigt den kritischen Moment, an dem das scheinbare Gleichgewicht von allem uns Gewohnten kippt.


WEIBLICHKEIT


Zentral in der Bildkomposition befinden sich zwei abstrahierte Vulven, die wie eine Spiegelung zueinander angeordnet sind. Diese Spiegelung kann zunächst als eine Metapher von Dualität und Gleichgewicht gleichermaßen gedeutet werden. Das Bild schafft eine omnidirektionale Symmetrie in asymmetrischen Brüchen, die eine starke Verbindung zwischen den beiden Spähren oben und unten herstellt.

Die Verbindung, der einzige Kontaktpunkt scheint durch eine glasartige Struktur oder zähe, transparente Flüssigkeit gegeben, die erst auf den zweiten Blick die Form einer Sanduhr bildet. Sie suggeriert den Fluss der Zeit und den Aspekt der Vergänglichkeit. Die Sanduhrform ist dabei ein starkes Symbol, das auf den „Tipping Point“ hindeutet – einen Moment, an dem das Gleichgewicht kippt und ein unumkehrbarer Wandel stattfindet.

Die Vulven können dabei als nährende, schützende und lebensspendende Kraft interpretiert werden, als Ur-Schoß von Erde und Kosmos – verbunden durch die Zeit in einem fragilen Gleichgewicht.

ZEIT - Veränderung und Evolution


Die „Flüssigkeit“, die die sensibelsten Punkte beider Vulven, die beiden Klitorides verbindet, kann als Metapher für die Zeit selbst verstanden werden. Sie scheint zäh, sich zusammenziehend oder kurz vor dem Zerreißen - je nachdem ob eine Bewegung aufeinander zu oder voneinander weg in Betracht gezogen wird.  Dies deutet darauf hin,  dass Veränderung langsam oder schlagartig, aber immer unausweichlich voranschreitet. 

Den Wandel zu beeinflussen oder gar aufzuhalten scheint hier geradezu unmöglich.

Die Sanduhr ist ein universelles Symbol für das Vergehen der Zeit, aber in diesem Bild scheint sie auch auf den ultimativen „Tipping Point“ zu verweisen – den Punkt, an dem etwas umschlägt, sei es in einem individuellen oder aber auch politischen, sozialen und ökologischen Kontext. Das Bild spielt mit der Idee, dass Zeit sowohl ein heilender als auch ein zerstörerischer Faktor sein kann, abhängig davon, wie sie genutzt wird.

ENTSCHEIDUNG - Zerstörung und Neubeginn


Die Farbverläufe von Blau zu Rot scheinbar wie im Hintergrund der beiden Vulven und die daraus erwachsenen diagonalen Linien erscheinen wie Reflexionen auf den Schenkeln der beiden, dunklen Körper. Blau steht traditionell für Kälte oder Stabilität, während Rot für Hitze und Zerstörung stehen. Diese Farbübergänge und Streifen deuten auf das globale Phänomen der Erderwärmung hin, bei dem die Temperaturveränderungen den Planeten auf einen „Tipping Point“ zubewegen – einen Punkt, an dem das Klimagleichgewicht kippt. Ihre scheinbare Reflexion an den Schenkeln der Körper als blaue und rote Linien unterstreicht nicht nur die Dualität zu Beiden Seiten des Tipping Points sondern bringt es in Beziehung mit uns selbst. 

Der Titel des Bildes, „tippinG|Point“, suggeriert hier zudem eine Dringlichkeit und fokussiert den Moment im hier und jetzt, an dem Entscheidungen getroffen werden müssen; Es gibt keinen Weg zurück, wenn dieser Punkt einmal überschritten ist. In diesem Kontext kann es als eine Warnung verstanden werden, die zeigt, dass die Zeit, etwas im „eigenen Sinne“ zu ändern, begrenzt ist.


Die Schreibweise des Titels – mit der Trennung durch den „|“ – könnte als weiterer Hinweis für eine symbolische Darstellung der Kluft zwischen zwei Zuständen verstanden werden: Vor und nach dem Kippen des Gleichgewichts. Das große „G“ betont dabei, dass dieser „Große“ Moment auf globaler Ebene stattfindet und nicht nur kleine Veränderungen, sondern fundamentale Verschiebungen im Gleichgewicht von Natur und Gesellschaft zu erwarten sind.


„ANTAGON“ - Zeit und Entscheidung


Die Sanduhr und auch bereits der Titel „tippinG|Point“ verdeutlichen das Spannungsfeld zwischen Entscheidung und Zeit. Einerseits zeigt die Sanduhr die lineare Natur der Zeit – das Unaufhaltsame –, andererseits symbolisiert sie einen Moment, der in der Schwebe ist und von einer einzigen, winzigen Entscheidung abhängen mag.

Diese Entscheidung könnte sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene getroffen werden. Der Tipping Point repräsentiert also nicht nur einen biologischen,  klimatischen oder sozialen Zustand, sondern auch einen Moment, in dem Menschen die Möglichkeit haben, bewusst zu handeln und Dinge voneinander zu scheiden oder die Konsequenzen des Nicht-Handelns stattdessen zu erfahren.


VISUELLE  STRUKTUR UND DYNAMIK


Die diagonalen Linien auf beiden Seiten, die aus den blauen und roten Zonen herausführen, könnten zudem auf Kräfte hinweisen, die auseinander driften oder gleichermaßen zusammenstoßen, zusammenführen. Sie können als Symbole oder Verweise verstanden werden, auf die Spannungen in der Welt, die auf verschiedene Krisen und Katastrophen hindeuten – sei es politisch, sozial oder ökologisch.

Die drei roten Punkte auf der linken und rechten Seite des Bildes erscheinen ebenfalls bedeutungsvoll. Eine mögliche Wiederholung oder Eskalation von Ereignissen scheint sich wie eine unheilvolle Ahnung abzeichnen zu wollen – eine visuelle Andeutung, dass die „Tipping Points“ sich immer wieder in verschiedenen Kontexten wiederholen werden.


FAZIT


„tippinG|Point“ ist ein tiefgründiges Kunstwerk, das eine Vielzahl von Interpretationen zulässt, insbesondere in Bezug auf Klimawandel, Geschlechterdynamiken und den Fluss der Zeit. Es stellt den kritischen Moment dar, an dem das Gleichgewicht – sowohl auf dem Planeten Erde als auch in sozialen und politischen Kontexten oder in uns selbst – kippen könnte, kippen kann und kippen wird. Die weiblichen Vulven, die zentral im Bild platziert sind, unterstreichen die Bedeutung von Fruchtbarkeit, Erneuerung und Schutz, während die Sanduhr im Zentrum auf das schwindende Zeitfenster verweist, um die bevorstehenden Herausforderungen anzugehen.


Das Werk fordert den Betrachter auf, über den Punkt nachzudenken, an dem das Gleichgewicht kippt, und betont die Dringlichkeit des Handelns in einer Welt, die sich sowohl ökologisch als auch sozial an Kipppunkten befindet.

© Daniel Holtwiesche

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