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daniel holtwiesche | PORTFOLIO

men@war

Eine Interpretation


Das Triptychon „men@war“ ist eine radikal düstere Komposition, die auf der einen Seite unmissverständlich und fast plakativ explizit erscheint, aber auf den zweiten und dritten Blick tiefgründige Räume der Interpretation eröffnet. 

men@war setzt auf abstrakte Symbolik für männlich und weiblich und spielt auf der Klaviatur eines aus Wissenschaftlichkeit gespeisten, neuen Symbolismus wie z.B. die exakte Schrägstellung der zentralen, mittleren Figuration als Widerspiegelung kosmischer Realität. Das Triptychon erzwingt eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragilität des Planeten Erde, der Zerstörungskraft männlicher Energie und dem universellen, kosmischen Gleichgewicht.


MANKIND

Schon der Titel „men@war“ deutet auf einen Konflikt hin, jedoch in einem tieferen Sinne. Zudem hält der Plural „men“ es offen, ob Männer oder der Mensch an sich adressiert werden sollen. Es könnte sich um den Krieg der Menschheit gegen die Natur handeln, aber auch um den Konflikt zwischen männlichen und weiblichen Prinzipien in der Gesellschaft oder auch um einen Konflikt  innerhalb eines Individuums – in uns selbst.

Der Konflikt könnte auch in Bezug auf Macht und Verantwortung gesehen werden – die “männliche” Energie steht möglicherweise für Zerstörung, Ausbeutung und Kontrolle, während die “weibliche” Energie für Fürsorge, Schöpfung und Erhaltung steht. 

EKLIPTIK


Die zentrale Figuration scheint zunächst von statischer Symmetrie. Erst der weiter forschende Blick offenbart, dass die Symmetrie verschoben ist, nahezu zerrissen wirkt und sie scheint zu kippen – sie ist schräg gestellt. Diese Schrägstellung wirkt so dominant und kraftvoll obschon sie nicht dem Üblichem entspricht. Es sind keine 45°-Diagonalen, noch wird die Diagonale des gesamten Triptychons untermauert. Woher aber diese optische Dominanz? Weiteres forschen offenbart einen Winkel von 23,5° oder genauer: 23,27°. Dies entspricht exakt der Schrägstellung der Erdachse gegenüber der sog. Ekliptik. 

Es ist genau dieser Winkel, diese Schrägstellung der Erdachse, der wir z.B. den Rhythmus unserer Jahreszeiten zu verdanken haben.  


EXODUS


Die äußeren Zonen links und recht werden beherrscht von zwei Figurationen in Form stilisierter Penisspitzen, gegeneinander gerichtet und aufeinander ejakulierend.

Jetzt wird unmissverständlich deutlich: Die schräg stehende Figur im Zentrum ist eine Vulva, der rote Kreis scheinbar der verwundbarste Punkt, die Klitoris – unser Planet Erde. Diese zentrale Figur verbindet das Individuelle, das Sexuelle, mit dem Universellen und dem Planetarischen. Sie wird zu einem machtvollen Symbol für Fruchtbarkeit, Leben und den Ursprung der Schöpfung, und in ihrer Platzierung in der Bildmitte repräsentiert sie den Planeten selbst als Quelle allen Lebens.

Jedoch sie erscheint wie unter Beschuss zu stehen und die beiden schwarzen Flächen, links oben und rechts unten mit ihren logarithmischen Bögen können als gewaltsam gespreizten Schenkel, welche hier einen geradezu kosmischen Raum aufzuspannen scheinen, interpretiert werden. Folgt der Blick von links nach rechts diesen gebogenen Kanten der Schenkel, entsteht das Graph einer mathematische Funktion, die ihre Unstetigkeitsstelle und schlagartige Umkehrung durch die gesamte Senkrechte der Bildmitte erfährt – die universelle Funktion unseres Daseins?

Ein Hinweis auf eine bevorstehende Katastrophe, den totalen Bruch oder die ultimative Kehrtwende eines bestehenden Systems oder Seins – ein ökologischer, sozialer oder individueller Kipppunkt?

Diese Formen repräsentieren eine Dynamik, die der Kontrolle entglitten zu sein scheint und verstärken das Gefühl der Unvermeidbarkeit und der Bedrohung.

Die symbolische Darstellung der Weiblichkeit steht im Zentrum des Bildes. Durch die Schrägstellung von 23,5 Grad ist die Verbindung zum Planeten Erde und der kosmischen Dimension geschaffen. Dies deutet auf eine tiefe Verbindung zwischen der Weiblichkeit an sich, unserem Planeten und seinen natürlichen Zyklen hin. Fruchtbarkeit, Schöpfung und den Kreislauf der Natur aber auch Schutz und Behütung.

Die Auseinandersetzung oder das Zusammenspiel zwischen männlicher und weiblicher Energie ist hier unmittelbar spürbar und dies nicht nur auf einen äußeren, kosmischen Konflikt bezogen, sondern auch auf den inneren Kampf und das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, den Geschlechterrollen oder der Dynamik zwischen maskuliner und femininer Energie.


DISRUPTION


Die an den Bildrändern dargestellten, auf die Vulva zielenden Penisspitzen könnten als Verkörperung aggressiver, männlicher Energie gelesen werden. Die Ejakulation, die hier als Zerstörungsakt inszeniert wird, scheint eine direkte Bedrohung für die Erde darzustellen. Es ist eine Metapher für die destruktiven Auswirkungen menschlichen - insbesondere männlich konnotierten - Handelns – sei es ökologisch, sozial oder politisch. Die Drohung der Zerstörung ist unausweichlich und allgegenwärtig. Die Symbolik der Ejakulation, die normalerweise in der Kunst mit Leben und Fruchtbarkeit assoziiert wird, scheint hier umgekehrt: Statt Schöpfung bringt sie Vernichtung, eine klare Kritik an der Gewalt, die die menschliche Zivilisation auf den Planeten ausübt. Die Zerstörung im kleinen, individuellen und persönlichen Rahmen bekommt so kosmische Dimension – ebenso wie die Zerstörung im großen, universellen und kosmischen Weltzusammenhang in die ganz persönliche Dimension gerichtet ist.

Hoffnung scheint es aber auch zu geben. Im Moment des Aufpralls der männlichen Energien im Zentrum des Geschehens scheint sich ein Lichtkreis, eine Lichtsphäre zu bilden. Freie und reine Schöpfungskraft bewahrt dann doch vielleicht die Fruchtbarkeit unserer Welt, unserer Zivilisation und unseres kreativen Geistes?


DISCONTINUITY


Die Klimastreifen im Hintergrund, die das Werk zwar augenscheinlich mit der aktuellen Klimakatastrophe verknüpfen zu scheinen deuten aber gleichzeitig auch auf das soziale und politische Klima der Gegenwart hin und darüberhinaus ganz besonders auf die Traumata und Irrationalität unserer menschlichen Psyche. Die Streifen zerschneiden die Fläche, spiegeln sich um die Bildmitte und verdeutlichen, dass die Zerstörung und Erhitzung global sind – ein Kontinuum, das aus den Fugen geraten ist. Dieses Spiegelmotiv ist aber auch Warnung: Was der Mensch der Erde, den Mitmenschen und sich selbst antut, wird unweigerlich auf ihn selbst zurückfallen. Der ganze Prozess ist an der senkrechten Mittelachse gespiegelt dargestellt – ein klarer Fingerzeig, dass ganz gleichgültig welche Art von Ereignis uns den Wendepunkt überschreiten lässt, eine mindestens ebenso lange Zeit der Genesung vor uns liegen wird.


Ob der Mensch jedoch den Punkt der Unstetigkeit von kollidierenden und auseinander strebenden Kräften, den Punkt an dem die Funktion des Lebens die totale Umkehr vollzieht, in der einen Unendlichkeit entflieht, um in der entgegengesetzten Unendlichkeit neu geboren zu werden, ob dieser nicht definierbare Punkt überbrückt werden kann scheint fraglich. 



FAZIT


Die Komposition an sich, mit ihrer Balance zwischen formaler Strenge und emotionaler Intensität, vermittelt eine klare Botschaft: Die Zerstörungskraft, die aus der männlichen Dominanz und der Missachtung der natürlichen Schöpfungskraft resultiert, richtet sich gegen den Ursprung des Lebens selbst – symbolisiert durch die Vulva als Synonym für den Planeten Erde. Die Neigung der Vulva verweist subtil auf das große kosmische Zusammenspiel, das durch menschliche Überheblichkeit gestört wird.

Dieses Werk ist nicht nur eine visuelle Darstellung von Macht und Zerstörung, sondern auch ein kritisches Statement zur aktuellen ökologischen, sozialen und politischen Krise und den gesellschaftlichen Strukturen sowie den individuellen Glaubenssätzen, die diese Krise verursachen. Die Kombination sexueller Metaphern mit planetarischen und kosmischen Bezügen schafft ein breites Spannungsfeld zwischen dem zutiefst Individuellen und dem Globalen, dem unmittelbar, erlebbar Körperlichen und dem abstrakt Universellen, dem Schöpferischen und dem Zerstörerischen. Es fordert den Betrachter auf, nicht über die Rolle des Menschen im großen Gefüge des Lebens nachzudenken – sondern stellt konkret die Frage nach der ganz persönlichen, eigenen Rolle und Verantwortung.

© Daniel Holtwiesche

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